Die Vorortbahn-Triebwagen E.T. 531 und E.T. 532
 
Von der Entwicklung bis zur Ausmusterung
 
Im Jahre 1915 beauftragte die im Februar 1914 gegründete A.E.G.-Schnellbahn A.G. Berlin Ihren Architekten, für die im Bau befindende Nord-Süd-Schnellbahn einen Probewagen zu entwerfen. (Diese Strecke zwischen Gesundbrunnen und Neukölln, auch als G/N-Bahn bezeichnet, sollte die erste Groß-Profil U-Bahn für Berlin werden und innerhalb von fünf Jahren fertig gestellt sein). Bisher gab es nur die Hochbahn, die auch heute noch als Klein-Profil U-Bahn bezeichnet wird. Damit wurde hier die große Veränderung gegenüber dem bisherigen Hochbahnsystem eingeleitet, denn der Wagenkasten wurde ggü. dem Klein-Profil von 2 300 mm auf jetzt 2 525 mm, und später noch einmal auf 2 650 mm verbreitert.
 
Der erste Triebwagen, der spätere E.T.531 (Technische Details auf der nächsten Seite), wurde bei der Waggonfabrik "van der Zypen & Charlier G.m.b.H." in Köln gefertigt und im März 1916 mit der Fabrik-Nr. 11 8557 in Hennigsdorf bei Berlin ausgeliefert. Nach Einbau der gesamten elektrischen Ausrüstung durch die Firma A.E.G. wurde 1917 auf einem Betriebsgleis extra eine Stromschiene montiert, damit dort die bahnamtliche Abnahme durchgeführt werden konnte. Anschließend wurde der Triebwagen ohne Betriebsnummer in Hennigsdorf abgestellt. Im Jahr 1918 kam noch ein zweiter Triebwagen, der spätere E.T. 532 hinzu, der von der Waggonbau Görlitz gleich komplett mit elektrischer Ausrüstung nach Hennigsdorf geliefert wurde. Dieser hatte die Fabrik-Nr. 7872. Mit beiden Triebwagen hätte man nun einen Zug betriebsmäßig zusammenstellen können, da jeder Triebwagen nur einen Führerstand besaß.
 
Sammlung: W. Kämmerer
Probefahrt auf der Inbetriebnahmestrecke mit extra montierter Stromschiene
in Berlin-Hennigsdorf  bei der A.E.G. im Jahre 1917
 
Nach Beendigung des Ersten Weltkrieges versuchte die A.E.G.-Schnellbahn A.G. die beiden Triebwagen zu verkaufen, da ein Betriebseinsatz auf der G/N-Schnellbahn in weite Ferne gerückt war. (Die Bauarbeiten an der G/N-Bahn mussten wegen der wirtschaftlichen Lage am 23. Oktober 1919 völlig eingestellt werden. Der schon fertig gestellte Streckenabschnitt von 3,1 km Tunnelrohbau, sowie die beiden Bahnhöfe Voltastraße und Bernauer Straße wurde später von der Stadt Berlin übernommen, die den Weiterbau selber vornahm und diese Strecke - heute Teil der U8 - bis 1930 in Etappen fertig stellte.)
 
Da die Berliner U-Bahn einen Kauf ablehnte, wurden die beiden Triebwagen der Hamburger Hochbahn AG zur Verfügung gestellt. Die Breitendifferenz zwischen Berlin mit 2 650 mm und Hamburg mit 2 560 mm war dabei erst einmal unwesentlich. Nach einigen im Jahr 1919 durchgeführten Änderungen an der elektrischen Ausrüstung, wurde auf der sich im Aufbau befindlichen Hochbahnstrecke Kellinghusenstr. - Ohlsdorf mit den Triebwagen aus Berlin, im Frühjahr 1920 Probefahrten an der Stromschiene unternommen. Aufgrund des unpassenden Tunnelprofils der Hamburger Hochbahn gelangte der mit seiner auffallenden hellgrauen Farbe  lackierte Zweiwagenzug hier zu keiner weiteren Verwendung und wurde wiederum, diesmal in Hamburg-Barmbeck, abgestellt.
 
Sammlung: W. Kämmerer
Der Wagen von der rechten Seite. Deutlich ist die äußere Versetzung der Schiebetüren zu erkennen
 
Durch Betreiben seitens der Fa. A.E.G. in Berlin zeigte die KPEV im Jahr 1919 Interesse an diesen Wagen, die niemals einen U-Bahn-Tunnel oder eine Strecke in Berlin mit U-Bahn-Gleisen befahren hatten. Für den Betrieb auf der elektrischen Vorortbahn zwischen dem Potsdamer Vorortbahnhof in Berlin und Groß-Lichterfelde Ost suchte die KPEV modernere, aber preiswerte und neuwertige Triebwagen. Für je 100.000 Mark wechselten die beiden A.E.G.-Schnellbahn-Triebwagen im März 1920 den Besitzer, und wurden von Hamburg zurück kommend, zunächst in die EAW Berlin-Tempelhof gebracht. Hier wurden sämtliche Anpassungs- und Umbauarbeiten für den Eisenbahnbetrieb vollzogen.
 
Die KPEV ordnete den beiden A.E.G.-Schnellbahn-Triebwagen die Betriebsnummern E.T.531 und E.T.532 gem. dem Nummernsystem der preußischen Staatsbahn zu. Anfangs wurden die beiden Triebwagen, die am 13. Mai 1921 der Presse vorgestellt wurden, wegen der modernen Inneneinrichtung noch in die 2. Klasse eingestuft, aber auf Grund der Kritik von Pressevertretern sowie den Beschwerden der Reisenden wurde davon Abstand genommen und die Wagen unter anderem wegen der Holzsitze und einer schlechten Klimatisierung, die zwar nach einem nochmaligen Umbau verbessert wurde, auf die 3. Klasse umgezeichnet.
 
Montage: D.Hoge
Rekonstruktion der Frontansicht nach Umbau für die Vorortbahn von 1920
(Wiederherstellung nach bisherigen Recherchen von 2003 bis 2007)
 
Die Fa. A.E.G. in Berlin, Bahnabteilung, nutzte diese beiden Probewagen auch weiterhin und veränderte in zwei großen Etappen 1920 und 1922 die gesamte elektrische Steuerung vom Fahrschalter über das Schaltwerk, den Widerständen bis hin zu den E-Motoren, um ein sicheres konstantes Anfahrverhalten zu erzielen. Diese gesamte neue Steuerung wurde dann ab 1924 in den neu entwickelten Triebwagenzügen der Bauarten Bernau usw. eingesetzt. Insgesamt fuhren beide A.E.G.-Schnellbahnwagen acht Jahre lang auf der Vorortstrecke der Anhalter Bahn, bis am 1. Juli 1929 um 24.00 Uhr der bisherige Betrieb auf der Lichterfelder Strecke mit der 550 V- Fahrspannung für immer eingestellt wurde. Die beiden Probewagen wurden aber aus Kostengründen nicht für den Betrieb mit 800 Volt umgerüstet. Auch eine Kupplung mit den modernen Schnellbahntriebwagen der Bauarten Bernau, Oranienburg und Stadtbahn für den 800 Volt Betrieb wäre nicht möglich gewesen.
 
Zunächst fanden sich für die beiden A.E.G.-Schnellbahnwagen trotz gut erhaltener Wagenkästen von E.T.531 und E.T.532 keine Interessenten. Nach dem Ausbau aller elektrischen Komponenten in Tempelhof wurden Sie aber noch bis Mitte der dreißiger Jahre, mit einer dritten Betriebsnummer, als Gerätewagen für Hilfszüge im Bw-Wustermark verwendet, ehe sie endgültig ausgemustert wurden. Der Eisenbahnersportverein in Elstal (westlich von Berlin) erwarb die beiden Wagenkästen um sie als Aufenthalts- und Geräteraum zu nutzen. E.T.532 diente noch bis 1969 als Umkleideraum für den Eisenbahnersportverein, und wurde dann vermutlich verschrottet.
 
 Der ehemalige E.T.531 wurde nach 1945 als Unterkunft für eine schlesische Flüchtlingsfamilie verwendet. Nachdem die letzte Bewohnerin im Jahr 1975 verstarb, stand der Wagenkasten des Probewagen unbeachtet von den Eisenbahninteressierten, und sich selbst überlassen in Elstal, bis er 1999 wiederentdeckt wurde.
 
Vorbild E.T.531 und ET.532

Im Jahr 1921 hatte man Untersuchungen angestellt, wie die neue Generation von zu beschaffenden Triebwagen konstruiert sein sollten. Die beiden übernommenen A.E.G.-Schnellbahnwagen mit der Inneneinrichtung ohne einzelne, für sich abgeschlossene Abteile, die breiten Schiebetüren die einen schnelleren Fahrgastwechsel ermöglichten, sowie deren Zugbildung mit den Beiwagen beeinflusste die Überlegungen zur Gestaltung der neuen Trieb- und Beiwagen. Es wurden noch 1921 neue Konstruktionszeichnungen erarbeitet und dem Ministerium in Berlin vorgelegt, die auf dem Konstruktionsprinzip des E.T.531 und E.T.532 basierten.

 
Sammlung: W. Kämmerer
Entwurfszeichnung der DR aus dem Jahr 1921 für eine neue Triebwagen-Generation auf Grundlage der beiden A.E.G.-Schnellbahntriebwagen
(zum Vergleich der Innenraum des E.T.531)
 
Um ein einheitliches äußeres Aussehen des gesamten zusammengestellten Zuges zu erzielen, sollten diese jeweils aus 4 vierachsigen Triebwagen  und 4 vierachsigen Beiwagen, je mit einer Länge von 18 m bestehen. Die Ausführung mit gleichlangen Trieb- und Beiwagen wurde aber erst mit der Baureihe ET/EB 168 im Jahr 1927 verwirklicht, da man sich im gleichen Jahr wieder an eine schon 1907 für die Stadtbahn entwickelte Variante erinnerte, die als kleinste Zugeinheit einen Halbzug vorsah. Dieser Zug hätte aus zwei vierachsigen Triebwagen, sowie aus zwei kürzeren zweiachsigen Beiwagen bestanden. (Die Variante mit den kürzeren Beiwagen diente dann als Grundlage zur Entwicklung der sechs bekannten Versuchszüge A bis F in den Jahren 1922/23.)
 
Sammlung: W. Kämmerer Sammlung: W. Kämmerer
Versuchszug C von "van der Zypen & Charlier G.m.b.H."
 
Der Versuchszug C wurde, wie auch die beiden A.E.G.-Schnellbahnwagen, von der Firma "van der Zypen & Charlier G.m.b.H." mit der gleichen versetzten Sitzanordnung gebaut. Obwohl es eine ausreichende Anzahl an Türen gab, fand diese Variante auf Grund des Grundrisses nicht die Zustimmung der Fahrgäste. Auch  wurden wieder die fehlenden Haltestangen moniert, wie 1921 bei den A.E.G.-Schnellbahnwagen.

Die beiden A.E.G.-Schnellbahnwagen waren als Probewagen für die Berliner Großprofil-Untergrundbahn gedacht gewesen, und entwickelten sich bis zu Ihrer Stilllegung im Jahr 1929 zu technischen Experimentierfahrzeugen für die spätere Berliner Gleichstrom-Stadtschnellbahn der Deutschen Reichsbahn Gesellschaft (DRG), der heutigen Berliner S-Bahn.

Mit diesem Hintergrundwissen kann man heute auch sagen, daß der E.T.531 und der E.T.532 die Urahnen der Berliner S-Bahn gewesen sind. Leider wird das in Berlin nicht zur Kenntnis genommen.


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Triebwagen E.T.531 - Aufbau und Umbau



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